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Die Praxis |
Raumliniengymnastik |
Praxis Vom Beuteauge zum geistigen Auge
Die Fortbewegung ist zugleich die Werdebewegung eines Lebewesens.
Ein Fisch, der schwimmt, ein Vogel, der fliegt stellen so ihre
Gestalt immer wieder her. Das gilt auch, unter Berücksichtigung seiner
Geistesfähigkeit, für den Menschen. Doch was dem Tier instinktiv
angeboren ist, musste für ihn, der seine Verbundenheit mit der Natur
verloren hat, neu erkannt werden. Max Thun-Hohenstein, mit Pferden von
Kindheit an vertraut, wusste, dass man ein lahmes Pferd wieder zur vollen
Leistungsfähigkeit führen kann, wenn man es in allen seinen Gangarten
tummelt. Als er einen Reitunfall hatte,
von dem eine Bewegungseinschränkung in der Schulter zurückblieb,
überlegte er folgerichtig: „Wenn ich ein Pferd wäre, wüsste ich, was
ich mit mir zu tun hätte.“ Er stellte die Frage nach den „Gangarten
des Menschen“ bei einem Seminar der Hochschule für Leibesübungen in
Berlin zur Debatte, ohne eine Antwort zu bekommen, da die Frage selbst neu
war. Darauf begann er, die
menschliche Fortbewegungsanlage vom Wälzen, über das Kriechen und den
Gang auf allen Vieren bis zur Aufrichtung zu erforschen, um sie zu
Heilszwecken zu nützen. Dies ist mit einer Einordnung in die Schöpfung
verbunden und so löste sich die Lähmung seiner Schulter auf einer
Paddelfahrt auf der Donau von Passau nach Wien. Thun-Hohenstein
orientierte sich gerne an Tieren. Beispielsweise war ihm die leichte
Fallbereitschaft der Affen mit der gleichmäßigen, gleichgewichtigen
Anwendung ihrer Extremitäten, wobei Genick und Steiß als Widerlager
fungieren, Vorbild für das Turnen, besonders für das Klettern oder das für
die Bewegung des Pferdes typische „Beugen und Strecken“ für die
Gewinnung der menschlichen Schnellkraft. Sein
Assistent und geistiger Erbe Alois Weywar hat Thun-Hohensteins
Erkenntnisse als Physiotherapeut angewendet. Besonders während des
Krieges, als er in einem Lazarett im Rahmen
des Versehrtensports mit der „Gehschule“ beauftragt war,
hatte er die besten Wiederherstellungsergebnisse, indem er sie als
„Fortbewegungsschule“ im Sinne Thun’s verstand. Christa
Gierer hat die Yoga-Schule von
Susanne Schmida besucht, wo sie auch unterrichtete. Auf der Suche nach
einer westlichen Ergänzung lernte sie Alois Weywar kennen und begleitete
lernend seine letzten Lebensjahre. Sie
brachte die Formen der Raumliniengymnastik (Spirale, Ellipse, Kreis, etc.)
von Susanne Schmida, die diese als Grundlage des Ausdruckstanzes lehrte,
mit den organischen Bewegungen von Max Thun in Verbindung. Der genaue
Vollzug des Vierfüßlerganges und seine Aufrichtung werden mit der
instinktiven, mythologischen Erkenntnis der Tierbewegung, wie sie in die
Yoga-Stellungen eingegangen ist, verbunden und ergeben ihn ihrer
Wechselbeziehung eine innere Aufrichtungsorientierung.
November 2021 |